Wenn das Sterben Lücken reißt
- Thomas Bloedorn
- 22. Nov. 2023
- 2 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 10. Dez. 2023

Die evangelische Familie Bonhoeffer fand aus persönlicher tiefer Trauer zu einem ganz besonderen Weihachtsritual. Als 1918 vor Weihnachten der Sohn im 1.Weltkrieg gefallen war, brach die Familie aus dem stattlichen Weihnachtsbaum zuhause sichtbar einen Zweig heraus, um auszudrücken: "Du hinterlässt eine Lücke, wenn du gehst. Du fehlst."
Alle Jahre wieder, in diesem Jahr besonders: So viele Tote. Brutal weggerissen durch Krieg und Terror. Für den Moment nur geschätzte Zahlen. Steh ich im Wald nach einem Sturmbruch? Dabei hinterlässt jeder Mensch, der geht, an vielen Stellen eine schmerzliche Lücke.
Der Bohoeffer-Sohn Dietrich hat beschrieben, wie man mit der Lücke leben kann, wenn ein Mensch geht. Das ist seine Weise, was er da beschreibt. Es geht auch anders. Aber zwischen Volkstrauertag und Totensonntag veröffentliche ich hier diesen Text als Anregung. In meinen Trauerfeiern spielt er immer wieder eine Rolle. Nicht wörtlich, aber in der Haltung: Aushalten, die Realität nicht fliehen, auch wenn wir feiern wollen.
Es gibt nichts, was uns die Abwesenheit eines lieben Menschen ersetzen kann. Und man soll es auch gar nicht versuchen; man muss es einfach aushalten und durchhalten: Das klingt sehr hart, aber es ist zugleich ein Trost. Denn indem die Lücke wirklich unausgefüllt bleibt, bleibt man durch sie miteinander verbunden. Ferner: Je schöner und voller die Erinnerung, desto schwerer die Trennung. Aber die Dankbarkeit verwandelt die Qual der Erinnerung in eine stille Freude.
Man trägt das vergangene Schöne nicht wie einen Stachel, sondern wie ein kostbares Geschenk in sich. Man muss sich hüten, in den Erinnerungen zu wühlen, sich ihnen auszuliefern, wie man auch ein kostbares Geschenk nicht immerfort betrachtet, sondern nur zu besonderen Stunden und sonst nur wie einen verborgenen Schatz, dessen man sich gewiss ist, besitzt. Dann geht eine dauernde Freude und Kraft von dem Vergangenen aus.
(Die Lücke; DBW 8, S. 255f)
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